Virtuelle Liebe: Haben wir verlernt, offline zu flirten
Tinder, Lovescout und Co. machen es möglich: Das bequeme Flirten von der Couch aus. Während die Plattformen ein paar Glücklichen zur großen Liebe verhelfen können, sind die meisten Kontakte doch eher oberflächlich und damit leider auch oft austauschbar. Gleichzeitig verführt Komfort auch zur sozialen Trägheit. Es stellt sich die Frage: Haben wir das Flirten in der realen Welt verlernt, weil der nächste potenzielle Partner nur einen Klick oder Swipe entfernt ist?
DIE DIGITALE WELT MACHT AUCH VOR DER LIEBE NICHT HALT
Die Liebe ist das Schönste und gleichzeitig Komplizierteste, das es zwischen zwei Menschen geben kann. Da ist es naheliegend, den Dschungel aus Anziehung, Emotion und Leidenschaft durch Rationalität etwas durchsichtiger zu machen: Ein Algorithmus, der für uns vorsortiert und uns nur noch vermeintlich geeignete Kandidaten vorsetzt – die Emanzipation von langatmigen Annäherungsversuchen. Gefällt mir was ich sehe? Falls nicht, genügt ein Swipe und es ist Platz für den nächsten Kandidaten.
Nun bin ich in einer Langzeitbeziehung und es gab zu meiner Zeit noch keine Love Apps. Mir fehlt also sozusagen der Praxisbezug. Aber rein sachlich betrachtet lehne ich die „digitalen Kuppelhelfer“ nicht ab. Sie sind für mich eine zeitgemäße Lösung für ein verbreitetes Problem: Wie findet man einen Partner, wenn es zwar ein Überangebot an Singles gibt, aber diese alle immer weniger Zeit haben? In einer Welt, in der alles schnelllebiger geworden ist, ist es nur natürlich, dass auch in Sachen Liebe andere Methoden angewendet werden. Und meistens melden sich ja bei diesen Apps auch Menschen an, die eventuell schon eine gewisse Frustrationsgrenze erreicht haben, weil sie sämtliche Möglichkeiten in der Offlinewelt ausgeschöpft haben.
Eine Single-Freundin von mir brachte es vor Kurzem auf den Punkt: „Warum soll sich ein Mann noch die Mühe machen, jemanden anzusprechen und vielleicht eine Abfuhr zu kassieren, wenn er zuhause mit einem Klick ganz bequem Hunderte Frauen durchforsten kann?“ Das ist wahr und irgendwie auch traurig.
VERKÜMMERT UNSERE FÄHIGKEIT ZU FLIRTEN?
Wenn Bequemlichkeit und virtuelle Chats über Neugierde, Mut und echte, zwischenmenschliche Annäherung siegen, ist das doch irgendwie auch ein Armutszeugnis für unser Flirtverhalten, oder? Auch ohne empirische Studien bin ich mir sicher, dass die Love Apps unser Verhalten „in freier Wildbahn“ beeinflusst haben. Wer macht sich heute noch die Mühe, sich tage- oder gar wochenlang mit nur einer Person zu beschäftigen und den Tanz der ersten Dates zu vollführen? Ich habe die Vermutung, dass viele von uns sogar irritiert sind, wenn sie direkt angeflirtet werden.
Wieso ist es normal, im Chat einem Fremden relativ schnell persönliche Dinge zu erzählen, aber im „Real Life“ Angst vor einem Lächeln in der U-Bahn zu haben? Nun will ich keine digitalen Dystopien an die Wand malen, denn Fakt ist, dass ja immer noch genug Leute auch ohne Apps zueinander finden. Aber vielleicht sollten wir noch öfter das Handy zur Seite legen und auf die „altmodische“ Art flirten. Das kann dann natürlich genauso in die Hose gehen und eine Live-Abfuhr ist unangenehmer als eine unbeantwortete Nachricht oder ein fehlendes Match – aber es kann schließlich auch funktionieren. Und letztlich heißt es ja immer noch Liebe auf den ersten Blick und nicht Liebe auf den ersten Klick, oder?
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Slow Fading bezeichnet das Verhalten, wenn ein Dating-Partner den Kontakt langsam einfach ausschleichen lässt – man wird quasi wie Musik leiser gedreht. Auch das sogenannte Benching ist eine absolute Unart im Dating-Kosmos. Dabei wird man auf die metaphorische Ersatzbank gesetzt und quasi warmgehalten. Ein fragwürdiges Dating-Verhalten legen auch die Kandidatinnen bei der „Der Bachelor“ an den Tag oder tun wir ihnen vielleicht unrecht?