Wenn die „Realness“ auf Instagram zum Druck wird
Dehnungsstreifen sind jetzt wunderschön, werden selbstbewusst mit Farben verziert und gepostet. Cellulite ist gefühlt fast schon das neue Statussymbol, denn sie gehört ja zu jeder Frau. Botschaften wie „Embrace“, „love yourself“ und „love your flaws“ sind in den sozialen Medien auf dem Vormarsch. Doch was grundsätzlich gut klingt, artet manchmal ins Gegenteil aus: Den Druck, alles an sich schön finden zu müssen.
Muss man Dehnungsstreifen wirklich schön finden?
Ein Foto der Journalistin Danae Mercer begegnete mir vor Kurzem zuerst im Feed der Glamour und dann auf diversen anderen Accounts, denen ich folge. In den Stories und Beiträgen wurde ihr Mut zur Echtheit auf Social Media gelobt, ihre Natürlichkeit. Wie die Journalistin zu dieser Ehre kommt? Sie postet regelmäßig Bilder von sich in denkbar ungünstigen Posen – Dehnungsstreifen und Cellulite voll sichtbar. Fotos, die ich ehrlicherweise vor dem Posten aussortieren würde. Sie zeigt, wie viel das richtige Posing und Licht ausmachen und will so ein gesundes Körpergefühl fördern und Instagram ein wenig entzaubern. Während ich all das und die Lobeshymnen meiner Geschlechtsgenossinnen las, konnte ich nur eines denken: Ich finde das nicht schön!
Ich will meine Makel nicht feiern!
Versteht mich nicht falsch, die Botschaft ist super und ich finde es bewundernswert, wenn eine Frau so viel Selbstbewusstsein hat. Aber als jemand, der selbst mit Cellulite und Dehnungsstreifen „gesegnet“ ist kann ich sagen, dass ich diese als Makel sehe. Gäbe es ein Zaubermittel, würde ich es sofort nutzen. Das heißt nicht, dass mich diese optischen Makel groß belasten – nur feiern will ich sie ehrlich gesagt auch nicht. Ich persönlich brauche keine Instagram-Posts, in denen mit utopischen Imperativen wie #loveyourflaws um sich geworfen wird. Ich soll meine Makel lieben? Und was, wenn ich sie dann doch gerne verstecke und stattdessen meine Vorzüge liebe? Außerdem finde ich es heuchlerisch, wenn Magazine die große Natürlichkeit und Liebe zum Makel feiern, nur um im nächsten Post wieder perfekt inszenierte Supermodels zu zeigen.
Jeder hat ein Recht auf ein eigenes Ästhetikempfinden
Es klingt vielleicht komisch, aber ich finde, ich habe eine ein Recht darauf, mich unwohl zu fühlen. Ich darf meine Cellulite hassen und sie bei anderen Frauen ebenfalls nicht schön finden und trotzdem bin ich keine Geschlechtsverräterin. Es ist mein Körper und mein Ästhetikempfinden und auch wenn das gerade nicht im Trend liegt, sollt dafür genauso viel Platz und Toleranz sein wie für Embrace-Rufe und Body Positivity.
Das interessiert dich auch
Im Gegensatz zur Body Positivity steht Body Neutrality dafür, seinem Körper neutral gegenüberzustehen und nimmt so den Druck. Wir alle haben wahrscheinlich schon mal für ein Bild auf Instagram posiert. Doch gerade vor Sehenswürdigkeiten nimmt das Phänomen oft groteske Züge an. Wirklich authentischer Wandel kann auch in einer vermeintlich oberflächlichen Branche funktionieren: Die Modeindustrie legt nicht zuletzt durch die Pandemie den Fokus auf wichtige Themen.